Schengen, Dublin, Frontex – Die Abschottungspolitik der EU
Schon seit Beginn der 1990er Jahre ist das Bild der «Festung Europa» eine feste Größe in allen Diskussionen, die ein kritisches Licht auf die Politik der EU werfen. Artikel in RosaLux – Journal der Rosa-Luxemburg-Stiftung 3/ 2011
Zuletzt wieder stärker ins Bewusstsein gerückt ist die «Festung Europa» vor allem durch die jungen TunesierInnen, die nach dem Sturz der Diktatur Ben Alis die Gelegenheit nutzten, den deprimierenden Aussichten in ihrem Land zu entfliehen.
In ihrer heutigen Form basiert das Abschottungsregime der EU vor allem auf dem Zusammenspiel von drei europäischen Regelungen und Instrumenten. Die Grundlage bilden die Schengen-Regelungen, die mit der Abschaffung der allermeisten Grenzkontrollen oft und zu Recht als eine der wichtigsten Errungenschaften der EU gefeiert werden. Das ist aber nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist die zutiefst fragwürdige Logik, der zufolge die Abschaffung der inneren Grenzkontrollen nur unter der Voraussetzung schärferer Kontrollen der Außengrenzen möglich ist.
Den zweiten und entscheidenden Teil des Abschottungssystems bildet die sogenannte Dublin-II-Verordnung, die festlegt, welcher europäische Staat für die Bearbeitung von Asylanträgen zuständig ist. Vereinfacht lässt sich «Dublin» auf die Regel reduzieren: Zuständig ist der Staat, in dem die/der Asylsuchende den ersten Kontakt mit Behörden hatte. Zumeist ist es das Land, dessen Schengen-Außengrenze überquert wurde. Mit dieser Regel soll verhindert werden, dass sich Asylsuchende, die den Schengen-Raum erreicht haben, das Land aussuchen, in dem ihr Antrag die besten Erfolgsaussichten hat. Kontrolliert wird das Dublin-System durch Eurodac, eine Datenbank, in der die Fingerabdrücke aller Personen gespeichert werden, die «illegal» eine Außengrenze der EU überquert oder irgendwo in Europa einen Asylantrag gestellt haben. Die Konsequenz ist, dass die Staaten, die über eine EU-Außengrenze verfügen und Nachbarn von Ländern mit hoher Armut oder repressiven Regimes sind, für eine deutlich höhere Zahl Asylsuchender zuständig sind als die anderen – unabhängig davon, ob es sich dabei tatsächlich um das Zielland der Asylsuchenden handelt oder nicht. Vermehrt landen Flüchtlinge daher in Ländern, durch die sie nur durchreisen wollen, die sie aber nicht verlassen dürfen. Die betroffenen Länder, vor allem Griechenland, Malta, Italien und Spanien, sind somit für Menschen zuständig, die wegen des Reichtums Deutschlands und Frankreichs oder wegen des Asylsystems Schwedens in die EU kommen. Folglich haben diese Länder ein gesteigertes Interesse, die Flüchtlinge gar nicht erst ihre Außengrenzen passieren zu lassen. Die übrigen Staaten, allen voran Deutschland, blockieren jeden Versuch, die Grundregel des Dublin-Systems zu ändern, damit sie sich dieser erfolgreich abgeschobenen Verantwortung nicht wieder stellen müssen.
An dieser Stelle kommt die Grenzschutzagentur Frontex ins Spiel. Sie ist so etwas wie der bequemste gemeinsame Nenner zwischen den Profiteuren des Dublin-Systems und den südlichen EU-Staaten.
Frontex’ Aufgabe, der Schutz der Außengrenzen, wird durch die dargestellte Interessenlage maßgeblich beeinflusst. Die Logik dahinter: Der Ungerechtigkeit des Dublin-Systems kann nur entgangen werden, wenn die Flüchtlinge ihre Asylanträge gar nicht erst stellen können. Grund- und menschenrechtskonform ist dies kaum zu bewerkstelligen, schließlich müsste die Möglichkeit, einen Asylantrag zu stellen, in jedem Fall eingeräumt werden. So bilden Schengen und Dublin die Grundlagen eines inhumanen Grenzregimes, dessen ausführender Arm Frontex ist. In diesem Licht ist es auch zu sehen, wenn italienische Regierungsmitglieder nach mehr Solidarität in der EU rufen: nach «Solidarität» bei der Abwehr von Flüchtlingen. Dem ist entgegenzuhalten, dass es die Flüchtlinge sind, die unserer Solidarität bedürfen. Anstatt darüber zu streiten, ob ein industrialisiertes Land mit 60 Millionen EinwohnerInnen Solidarität bei der Ankunft von 40.000 bis 60.000 Menschen benötigt, sollten die europäischen Regierungen ihren Blick einmal nach Nordafrika wenden. Dort haben Tunesien und Ägypten, zwei Länder in schwieriger Lage, fast eine Million Menschen aus Libyen und anderen Staaten aufgenommen. Derzeit sitzen noch immer 5.000 Menschen im Lager Choucha in Tunesien und am Grenzübergang Salloum in Ägypten fest. Diese Menschen sind vom UNHCR in ihrem Flüchtlingsstatus bestätigt und können nirgendwohin. Sie verdienen unsere Solidarität und sollten schleunigst in Deutschland und in Frankreich und in allen anderen EU-Staaten aufgenommen und angesiedelt werden.
Cornelia Ernst ist Abgeordnete für DIE LINKE im EuropaParlament und dort Mitglied im Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres