Asyl für Snowden, Geheimdienste abschaffen!
Mehr als alle anderen Whistleblower hat Edward Snowden gezeigt, welches Ausmaß die Überwachung durch die westlichen Geheimdienste im 21. Jahrhundert erreicht hat.
Die regelmäßigen Veröffentlichungen aus den Dokumenten Snowdens, die Anfang Juni 2013 begonnen haben, dauern auch 2014 noch an. Ein Ende der Affäre ist nicht in Sicht. Schon im Sommer 2013 unternahm Ronald Pofalla im Auftrag der Bundesregierung den peinlichen Versuch, die Angelegenheit für beendet zu erklären, bis bekannt wurde, dass auch das Handy der Kanzlerin jahrelang abgehört worden war. Das Europaparlament startete seine eigene Untersuchung. Da es keine eigenen Untersuchungsrechte besitzt, wäre es wichtig gewesen, den von mir mehrfach geforderten Sonderausschuss einzurichten, statt 15 Anhörungen am Rande des übrigen laufenden Betriebs zu veranstalten. Dennoch konnte dabei viel Interessantes und noch mehr Schockierendes zusammengetragen werden.
Es ergibt sich ein Gesamtbild mit einem Netzwerk aus Geheimdiensten, die im Namen der „nationalen Sicherheit“ und der Bekämpfung des Terrorismus in riesigem Umfang Daten miteinander tauschen. Die Dienste, allen voran NSA und GCHQ, agieren aufgrund viel zu allgemein gehaltener Ermächtigungen, die dann noch regelmäßig übertreten werden. Der Bundesnachrichtendienst ist an diesen Machenschaften aktiv beteiligt, genauso wie die Geheimdienste Frankreichs, Schwedens, der Niederlande, Polens und vieler mehr. Die vorgesehenen Kontrollstrukturen haben völlig versagt. Die Geheimdienste hatten freie Hand, ihre Überwachung auszubauen und ein System zu schaffen, mit dem ein Geheimdienst Informationen von den anderen erhalten kann, die er selbst sich nicht legal beschaffen könnte, etwa weil es um die eigenen StaatsbürgerInnen geht.
Überwachungsprogramme wie PRISM und Xkeyscore dienen der massenhaften Datensammlung. Werden die Daten miteinander Verknüpft und Profile daraus gebildet, offenbaren sie extrem viel über uns. Sie geben Aufschluss über Bekannte und Freunde, Gewohnheiten, Vorlieben, Probleme. Aus genügend großen Datenmengen kann man Menschen kennenlernen, ohne sie je zu treffen. Um die riesigen Datenmengen zu verarbeiten, haben die Geheimdienste auch die entsprechenden Rechenkapazitäten beschafft. Milliarden Dollar und Euro sind ausgegeben worden. So ist ein Überwachungssystem entstanden, das selbst Geheimdienstkenner überrascht hat.
Bemerkenswert ist der Druck, der auf die Protagonisten der Enthüllungen ausgeübt wird. Snowden sitzt noch immer in Russland fest. Der Journalist Glen Greenwald, der die meisten Dokumente Snowdens aufbereitet hat, lebt in Brasilien und meidet die USA oder Großbritannien. Sein Mann, David Miranda, wurde in Heathrow stundenlang unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung festgehalten. Der Guardian musste unter Aufsicht Festplatten zerstören, der Chefredakteur im britischen Parlament aussagen. Pikant ist, wie Journalisten drangsaliert werden. Skandalös ist es, wie die nach 2001 beschlossenen Anti-Terrorgesetze benutzt werden, um unliebsame Journalisten einzuschüchtern. Das ist genau der Missbrauch der Anti-Terrorgesetze, den wir vor zehn Jahren, als sie beschlossen wurden, vorausgesagt haben.
Eine wirklich kritische Auseinandersetzung mit der gesamten Anti-Terrorpolitik der vergangen zwei Jahrzehnte und der heutigen Architektur der inneren Sicherheit bleibt dennoch aus. Der Sinn und Zweck von Geheimdiensten wird nicht hinterfragt und auch nicht der Nutzen von Instrumenten wie Vorratsdatenspeicherung, Fluggastdatensammlung und Austausch von Finanzdaten im Rahmen des SWIFT-Abkommens. Und damit kann auch eine entscheidende Frage, die sich aus dem Skandal ergibt, nicht überzeugend und schon gar nicht abschließend beantwortet werden. Nämlich wie viel Repression und Überwachung die freie, soziale, pluralistische und sichere Gesellschaft, in der wir leben wollen, verträgt und wie viel davon nötig ist, um sie zu erreichen. Diese fundamentale Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit kann so nicht erfolgen, wäre aber angesichts dieses Skandals mehr als überfällig.
Natürlich brauchen wir Asyl für Snowden und besseren Schutz für Whistleblower. An den entscheidenden Herausforderungen, die sich aus dem Skandal ergeben, gehen sie aber vorbei. Aus dem Europaparlament heraus werden sich Geheimdienste, wie es DIE LINKE richtig fordert, nicht abschaffen lassen. Daher gilt es immer wieder zu zeigen, in welchem Missverhältnis Freiheit und Sicherheit heute stehen. Dieses Missverhältnis, das ist die Lehre aus dem Skandal, ist zu einer Bedrohung unserer Demokratie geworden. Dort müssen wir ansetzen.
Dr. Cornelia Ernst, erschienen in: Sachsens Linke März 2014