Tolerierter Rassismus gegen die größte ethnische Minderheit in der EU
Im Norden Tschechiens flammen seit Wochen immer wieder Spannungen um die dort lebende Minderheit der Roma auf. Der Brandherd liegt im „Schluckenauer Zipfel“, eine der ärmsten Gegenden Böhmens.
von Cornelia Ernst und Manuela Kropp, Oktober 2011
Ende August hatte eine Gruppe von Roma in Rumburk, unweit von Novy Bor, sechs „Weiße“ verprügelt, danach kam es zu einem Aufmarsch von 500 Leuten an einem warmen Freitagabend auf ein Roma-Wohnheim. „Zigeuner ins Gas“ war zu hören, es herrscht nun seit Wochen Progrom-Stimmung in Rumburk und im benachbarten Varnsdorf.
In Tschechien ist in den letzten Jahren ein stetiger Anstieg von rechtsextremen Aktivitäten zu beobachten. Neo-Nazis haben eine Reihe von Demonstrationen gegen die Roma-Minderheit organisiert. Die Wohnsiedlung Janov, im Norden der Stadt Litvinov gelegen, wo die Bewohner mehrheitlich Roma sind, wurde seit 2008 mehrfach Zielscheibe rechtsextremer Angriffe. Im April 2009 wurden in dem Dorf Vitkov Molotowcocktails in die Wohnung einer Roma-Familie geworfen. Der Europäische Ausschuss gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) wies in einem Bericht vom September 2009 mit Besorgnis auf vermehrte Hassreden gegen Roma in der Öffentlichkeit sowie wiederholte Demonstrationen rechtsextremer Gruppierungen hin. Der Ausschuss empfahl eine rigorose Anwendung von Gesetzen, die rassistisch motivierte Gewalt und Volksverhetzung unter Strafe stellen.
Aktuellen Schätzungen zufolge leben in Tschechien zwischen 150.000 und 300.000 Roma – ca. 1,6 bis 3 Prozent der Bevölkerung. In der Gruppe der Roma herrscht eine Arbeitslosenrate von 90 Prozent, für die Bevölkerung insgesamt schwankt die Arbeitslosenrate zwischen 8 und 10 Prozent. Zu Beginn ihres Lebens beginnt für die Roma der Teufelskreis aus schlechten Bildungschancen und Armut. In vielen Orten Tschechiens werden Roma-Kinder in Sonderschulen für Kinder mit „leichter geistiger Behinderung“ untergebracht, und so erhalten sie eine Schulbildung niedrigeren Standards. Amnesty International verurteilte 2010 diese menschenrechtswidrige systematische Diskriminierung, und forderte die Regierung auf, diese Sonderbehandlung von Roma-Kindern zu beenden. Bereits im November 2007 hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte festgestellt, dass Roma-Kinder in Tschechien aufgrund dieser Praxis in ihrem Recht auf Bildung verletzt würden.
Und Tschechien ist in der Europäischen Union kein Einzelfall. In vielen Staaten Mittel- und Osteuropas werden Roma systematisch ausgegrenzt. Die europäische Ebene ist aktiv geworden: das Europaparlament hat seit dem April 2005 mehrfach Resolutionen gegen Ausgrenzung, Ungleichbehandlung und Roma-Feindlichkeit verabschiedet. Im April 2011 legte die Europäische Kommission die Roma-Rahmenstrategie vor, die den Mitgliedstaaten gleichermaßen ein konsequentes Vorgehen gegen die unhaltbare Diskriminierung der Roma empfahl und die Mitgliedstaaten aufforderte, nationale Roma-Strategie vorzulegen. Allein, bisher blieb es bei Worten, denn die Kommission hat den Mitgliedstaaten keine wirklich verbindlichen Vorgaben gemacht. Bis Ende des Jahres müssen die nationalen Roma-Strategien vorgelegt werden, doch dies wird nicht gegen Roma-Feindlichkeit und eine grenzüberschreitende Ausgrenzung der größten Minderheit in der EU helfen. Hier hilft nur Druck von Seiten des Europäischen Parlaments und der Zivilgesellschaft.
Am 10. Dezember wird die linke Fraktion im Europaparlament gemeinsam mit der Bundestagsfraktion, der Rosa-Luxemburg-Stiftung und der Linken-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus eine Roma-Konferenz „Willkommen zu Hause – Situation der Roma in der EU“ veranstalten.